Zeitzeugen berichten beim 36. Rundgespräch in fünf Jahren von ihren multikulturellen Erlebnissen

Jamal Antar, Irmgard Faul, Islam Saiev, Erika Lüters, Louis Omorgbe und Beatrice Wörrle berichteten beim 36. Rundgespräch von ihren Erfahrungen in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe

Das Podium aus Zeitzeugen, Wolfgang Schneck und Georg Schrenk beim 36. Rundgespräch

Sechs Zeitzeugen – drei Ehrenamtliche und drei Flüchtlinge – berichteten beim 36. Rundgespräch von der Arbeit unserer Gruppe in fünf Jahren. Den Anfang machte Erika Lüters, die beim allerersten Rundgespräch am 11. September 2014 den Wunsch äußerte, diese Veranstaltung möge regelmäßig stattfinden, ein Wunsch, der sich erfüllte. „Ich habe hohe Achtung vor ‚meiner‘ Familie, vor allem vor Saiev, der sich aufreißt für seine Kinder“, erzählte Lüters. Ihr „Patenkind“ Islam Saiev kommt aus Tschetschenien, ist geduldet und lernt gerade einen Deutschkurs auf dem Niveau A2. „Die Kinder sagen Oma zu mir“, berichtete die Helferin. Von neu gewonnen Freundschaften sprach auch Irmgard Faul, die den Syrer Jamal Antar betreute, der heute als Busfahrer bis nach Irland fährt. „Ich habe Freundschaft zu einer ganz tollen syrischen Familie gewonnen. Ich bin sogar nach Syrien eingeladen, wenn es da mal wieder gut wird“.

Steter Kampf gegen die Bürokratie

Der syrische Busfahrer Jamal Antar im Gespräch mit Stadtpfarrer Wolfgang Schneck

Antar selbst sagte, er habe „Karriere gemacht“, nachdem er zuerst bei Galonska als Hausmeister angefangen hatte. Besonders dankbar ist er für die Menschen, die ihn unterstützt hatten, als er „ohne Hilfe in einer fremden Stadt mit einer fremden Sprache“ ankam. Dieser Integrationserfolg verlief, genauso wie bei Louis Omorgabe, der mit unserer Hilfe einen Härtefallantrag beim Bayerischen Landtag stellte, nicht ohne den Kampf gegen die Mühlen der Bürokratie. „Ich war immer sehr froh, dass der Georg uns dabei geholfen hat“, sagte seine Patin, Beatrice Wörrle. „Ich habe vor 32 Jahren schon einmal auf eigene Faust Asylarbeit gemacht, und dann nach ein, zwei Jahren wieder aufgehört. In der Gruppe ist es besser“.

Selbstständigkeit ist wichtiges Ziel beim Zusammenleben

Beatrice Wörrle, Irmgard Faul und Erika Lüters im Gespräch mit Stadtpfarrer Wolfgang Schneck

Dass „aus Strukturen Dinge wachsen können“ bestätigte auch Stadtpfarrer Wolfgang Schneck, der die Erinnerungsrunde souverän moderierte. Er betonte jedoch auch, dass man sich immer wieder die Frage stellen müsse, was Helfen eigentlich ausmache, und der „Versuchung, übergriffig zu werden“, widerstehen sollte. „Da ist auch viel passiert in der Katholischen Kirche“. Auf die Flüchtlingshilfe bezogen bedeute das konkret, dass die Flüchtlinge selbstständig werden müssten und man sich als Helfer nicht „selbst überfordern“ dürfe.
Schneck führte weiter aus, dass das Zusammenleben und Zusammenwachsen von Menschen unterschiedlicher Herkunft in Dillingen eigentlich nichts Neues sei. Es sei nur vor 2015 nicht so sichtbar gewesen. Als Beispiel führte er den Katholischen Kindergarten an: dieser habe bereits vor dem Jahr der sogenannten „Flüchtlingskrise“ Kinder aus 21 Nationen beherbergt; jetzt seien es eben 25. Nur ginge diese Tatsache an der Öffentlichkeit oftmals spurlos vorüber. Was das konkret bedeutet machte er an einer kleinen, persönlichen Geschichte deutlich: als Schneck im Pfarrhaus St. Ulrich wohnte, waren dort auch im Winter 2014 mehrere Flüchtlinge behelfsmäßig untergebracht An Heiligabend hatte ein Flüchtling Besuch, der in seinem Zimmer offensichtlich keinen Platz mehr fand. Auf dem Weg zur Christmette begegnete der Pfarrer diesem Neubürger, der sich, in eine Decke gehüllt, in den dunklen Gang kauerte. In diesem Moment fuhr es „wie ein Blitz“ in ihn, sagte Schneck: „Willkommen, Jesus!“.

Migrationspaket verfehlt Ziele

David Förster vom Bayerischen Flüchtlingsrat berichtete über die Änderungen durch das Migrationspaket

Etwas weniger besinnlich ging es im zweiten Teil des Rundgesprächs zu. David Förster vom Bayerischen Flüchtlingsrat sprach auf unsere Einladung über die Änderungen durch das neue Migrationspaket von Innenminister Horst Seehofer (CSU). „Gesetzespakete haben den Nachteil, dass man nicht sagen kann, es ist alles schlecht. Es gibt immer Verbesserungen und Verschlechterungen“, sagte Förster. Im Laufe seiner Präsentation wurde jedoch deutlich, dass der Bayerische Flüchtlingsrat das Paket insgesamt für verfehlt hält. So sei es bei der Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beispielsweise offizielles Ziel gewesen, bundesweit Rechtssicherheit für Arbeitnehmer und Unternehmen zu schaffen sowie den Fachkräftebedarf zu sichern. Diese Ziele habe sich die Große Koalition bereits 2016 mit dem Bundesintegrationsgesetz gesetzt, doch „ich stelle infrage, inwiefern sie erreicht wurden“, kritisierte Förster.

Spurwechsel abgesagt

Im Fokus der Kritik stand das neu eingeführte Instrument der Beschäftigungsduldung, das gut integrierten Flüchtlingen eigentlich ermöglichen sollte, eine Art „Spurwechsel“ vom Asyl- ins Einwanderungsrecht zu vollziehen. Das geht auf eine Forderung zahlreicher Flüchtlingshelferorganisationen zurück. „Dieses Gesetz wird jedoch keine Relevanz haben, weil es wahnsinnig hohe Hürden gibt“, so Förster. Entscheidend sei nicht nur die Frage der Identitätsklärung (Flüchtlinge müssen Pässe und ggf. weitere Dokumente vorlegen, wenn sie eine legale Arbeit aufnehmen wollen), sondern auch, dass der Bleibewillige in den letzten 18 Monaten bereits sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. „Wir haben kaum jemand, der das erfüllt“, klagte unser 1. Vorsitzender und Koordinator Georg Schrenk. „Was wollen diese Menschen denn tun? Wenn die Ehrenamtlichen nicht da sind, haben die Flüchtlinge nur die Möglichkeit, auf der Straße herumzulaufen, und dann sagen die Bürger wieder: ‚Die tun ja gar nichts!‘. Dabei wissen die meisten nicht, dass sie gar nicht arbeiten dürfen!“ Schrenk kritisierte ebenfalls erneut, dass jedes Ausländeramt anders entscheide, und Bayern als Ganzes wiederum anders als Baden-Württemberg.

Volles Haus beim 36. Rundgespräch

Mit Klagen wie diesen stoßen Flüchtlingshelfer in Bayern seit Jahren auf taube Ohren. Vielleicht würde es helfen, wenn öfters Vertreter der Politik, insbesondere der Regierungsparteien, das Gespräch mit Flüchtlingen und ihren Helfern suchen würden. Ein Beispiel nehmen könnten sie sich an den Soldaten der Dillinger Luitpold-Kaserne: diese erschienen mit einer Abordnung unter ihrem Standortältesten bei diesem Rundgespräch, dem 36. in fünf Jahren und sicherlich nicht dem letzten.

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